L'Indice dei Libri del Mese, Jahr XXXIV, Nr. 2 - Februar 2017

Die Erzählung ist die Rache

Max Mannheimer, Una speranza ostinata. Terezin, Auschwitz, Varsavia, Dachau, übers. und hrsg. V. Claudio Cumani, Vorwort Paolo Rumiz, Torino, add Verlag, 2016, 125 S.

Alberto Cavaglion (Professor für Geschichte des Judentums an der Universität Florenz)
Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann

 

Durch die Vielfalt der erzählten Erlebnisse und das bewundernswert genaue Gedächtnis halten diese knappen aber intensiven Memoiren für den Leser mehr als eine Überraschung bereit, und dies, obwohl der Text ohne Anmerkungen nur ein paar Dutzend Seiten umfasst. Bereits in viele Sprachen übersetzt, ist die italienische Übersetzung erst jetzt, kurz vor dem Tod des Autors, erschienen.

Die ebenfalls im Jahr 2016 verstorbene Marina Jarre spricht in ihrem Buch „Padri lontani“ [Ferne Väter] davon, dass die Überlebenden der Shoa durch die „Perfidie der Wiederholung“ in die Gefahr geraten, das Erzählte durch die Rekapitulation abzuschleifen. Das betrifft Schreibende wie Lesende gleichermaßen und wird besonders dramatisch für die Leser der jüngsten Generationen. Nur in seltenen Fällen wie bei Max Mannheimer verblasst der unerträgliche Schmerz durch das Gewicht der Wiederholung an keiner Stelle. Una speranza ostinata besitzt die Spontaneität der Zeugenaussagen, die unmittelbar nach Kriegsende gemacht wurden, und dieser scheinbare Anachronismus macht die Entdeckung dieses Juwels für den italienischen Leser besonders wertvoll.

Für Mannheimer gilt die hellsichtige Hypothese, die Pier Vincenzo Mengaldo in einem berühmten Buch formuliert hat, dass nämlich das erlittene Böse nur durch die Erzählung gerächt werden kann. Die Erzählung selbst ist die Rache. Una speranza ostinata setzt in allererster Linie auf die heilende Kraft der Erinnerung, auf das meminisse iuvabit. Die Erzählung als Rache wird durch die Erfordernis von Klarheit und Genauigkeit gewissermaßen gemildert. Diese Notwendigkeit vollendet und festigt, in der deutschen wie jetzt auch der italienischen Ausgabe, der wissenschaftliche Beitrag von Wolfgang Benz, dem ehemaligen Direktor des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin, wo er auch lange Jahre lehrte. Benz, einer der bekanntesten Forscher zur Geschichte des Dritten Reiches und der Shoah, hat den Anmerkungsapparat beigesteuert und verstärkt dadurch die trockene Nüchternheit von Mannheimers Buch, das in vieler Hinsicht an Primo Levis Ist das ein Mensch? (beispielsweise im fast anarchischen Gebrauch der Tempora) erinnert.

Die Besonderheit des vorliegenden Textes besteht darüber hinaus beispielsweise darin, dass der Autor im Rahmen weniger, sehr kurzer, tagebuchartig gestalteter Kapitel seine „hartnäckige Hoffnung“ an vier symbolträchtigen Orten, nämlich Theresienstadt, Auschwitz, Warschau und Dachau, festmacht, wiewohl diese in der Geschichte der Judenverfolgung eine sehr unterschiedliche Rolle gespielt haben. Über jeden dieser Orte wird, ohne jegliche Sentimentalität, das Wesentliche gesagt. Die Erzählung lässt einem den Atem stocken. Vom ersten bis zum letzten dieser vier Orte des Leidens nimmt die Hoffnung nicht ab, sondern wird, so paradox das klingen mag, immer noch hartnäckiger, denn die Aufzeichnungen Mannheimers sind immer sehr präzise, obwohl sie sehr unterschiedliche Orte der Verfolgung betreffen. Diese vielfältigen und unterschiedlichen Erfahrungen darzustellen, würde dem Historiker Schwierigkeiten bereiten, dem Zeitzeugen dagegen kommt der literarische Charakter seines Schreibens zu Hilfe. Auf überraschende Weise wird das in dem außerordentlich dichten Kapitel über das Warschauer Ghetto deutlich. Mannheimer, der einer Familie des aufgeklärten jüdischen, Bürgertums Mitteleuropas entstammte, beginnt seine Erzählung mit der Erinnerung an seine glückliche Kindheit und zeichnet ein Bild seiner Vorfahren, das an die Jugenderinnerungen von Gershom Scholem gemahnt. Die Schwächen des Vaters und die strenge Erziehung durch die Mutter schildert Mannheimer mit menschlich-mitleidvoller Wärme. Die ersten drei Seiten, die allein schon den Wert des Buches ausmachen, lassen auf unnachahmliche Weise das Ausmaß des unvorgesehenen Einbruchs von Rassenhass zu Beginn der nationalsozialistischen Herrschaft erkennen. Mannheimer bedient sich dazu einer Szene aus seiner Schulzeit, die er als alter Mann mit der typischen Naivität des Kindes erzählt, das er damals war.

Das Buch wird durch einige sehr berührende Fotografien aus dem Familienalbum ergänzt. Als didaktische Hilfe, die aber den Text nicht belastet, sind einigen Kapiteln außerdem - ähnlich wie bei Levi - Karten beigegeben, um die Zwangstranporte des Gefangenen zu illustrieren. Dem Herausgeber Claudio Cumani verdanken wir außer der ausgezeichneten Übersetzung auch das sehr informative Nachwort, in dem er das bedeutende und facettenreiche Alterswerk Mannheimers als Maler und Schriftsteller detailliert darlegt.

Das Vorwort von Paolo Rumiz schließlich verweist auf eine Konstante in der, nicht nur jüdischen, autobiographischen Tradition des 20. Jahrhunderts: Triest wirkt trotz der zeitlichen Distanz der Ereignisse auch heute noch als kulturelles „Einfallstor“ Italiens für „notwendige“ Bücher, die sonst dem Vergessen anheimfallen würden.