Il Notiziario della Banca Popolare di Sondrio - Nummer 111 - Dezember 2009

Claudio Cumani, der Astrophysiker ohne Grenzen

Alessandro Melazzini

 

Claudio Cumani und seine Kollegen blicken ins Weite, viel weiter als wir alle. Ihr Blickfeld reicht mehr oder minder einige Millionen Lichtjahre über die Erde hinaus. Um seine Arbeit besser zu verstehen, haben wir ihn in Garching bei München besucht, wo ESO, die europäische Gesellschaft für die astronomische Beobachtung von der Südhalbkugel, ihren Sitz hat. Vor seinem Büro bemerken wir eine Antenne. Sie dient jedoch nicht zum Fernsehen, sondern dazu, mit Chile zu kommunizieren.

 

Gibt es Außerirdische?

Meiner Meinung nach: Ja. Ich sehe nicht ein, warum wir die einzigen im Universum sein sollten, immerhin ist die Erde nicht der einzige Planet, und unser Sonnensystem ist nicht das einzige. Angesichts der riesigen Anzahl von Galaxien und Sternen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass es andere Lebewesen gibt, nicht unbedeutend. Aber meine Ansicht ist nicht nur statistisch begründet.

Sondern?

Ich würde sagen, auch philosophisch. Wir wissen, dass die Erde, die Sonne, unsere Galaxie nicht das Zentrum des Universums sind. Ich sehe also nicht, warum wir Menschen die einzigen denkenden Lebewesen sein sollten. Außerdem gefällt mir der Gedanke, dass wir nicht allein sind.

Warum?

Ich mag keine unbegründete Vorrangstellung. Bei keiner Rasse gegenüber der anderen, bei keiner Spezies gegenüber der anderen.

Interessant. Aber heute bleiben wir mit den Füßen auf der Erde, genauer gesagt in Garching am ESO. Worum handelt es sich dabei?

Das European Southern Observatory wurde von Belgien, Deutschland, Frankreich, den Niederlanden und Schweden ins Leben gerufen. 1962 hatten sich diese Länder entschlossen, ihre Kräfte zu bündeln, als feststand, dass die moderne wissenschaftliche Erforschung aufgrund der Kosten für neue Maschinen und Teleskope nicht mehr innerhalb der Grenzen eines Staates finanziert werden konnte. Zu diesem Kern europäischer Länder haben sich heute viele viele andere gesellt. Italien und die Schweiz sind 1982 beigetreten, und mit Österreich sind wir in diesem Jahr bei vierzehn Mitgliedern angekommen. Jeder Staat steuert wirtschaftlich etwas bei, einen Prozentsatz, der nach dem Bruttoinlandsprodukt berechnet wird.

Was ist der Zweck des ESO?

Der Wissenschaftsgemeinschaft aus den Mitgliedsländern, aber nicht nur ihnen, Instrumente für exzellente Forschung bereit zu stellen. Das heißt: die Teleskope Entwickeln und Umsetzen sowie Archivieren, Sichten und Klassifizieren der riesigen Menge digitaler Daten, welche die Instrumente jede Nacht liefern.

Warum sitzt das ESO gerade hier?

Garching ist einer der wissenschaftlichen Brennpunkte Deutschlands. Hier sitzen außer dem ESO eine Technische Universität, diverse Max-Planck-Institute, der erste Kernreaktor Deutschlands für wissenschaftliche Zwecke sowie einer der schnellsten elektronischen Rechner der Welt und verschiedene private Firmen mit hohen technischen Standards. In den 80er Jahren, als die Mitgliedsstaaten den definitiven Sitz des ESO wählten, wollten sie Garching, weil Deutschland mit einer vorausschauenden Politik der Wissenschaftsinvestition alles aufbot, um das Institut hier ansässig zu machen, ihm sogar den Baugrund schenkte und den Bau des Gebäudes bezahlte. Außerdem sind wir in dieser Gegen im Zentrum Europas, und die Transportwege und Infrastruktur machen es möglich, sehr schnell an viele Orte zu kommen. In Garching ist die Direktion des ESO sowie der Rat, der die Projekte der Astronomen aus den teilnehmenden Ländern bewertet und den vielversprechendsten Programmen finanzielle Mittel zur Verfügung stellt. Außerdem befindet sich hier geradezu das technologische Herzstück, also der Teil, der sich mit der Entwicklung der Instrumente befasst. Die Teleskope des ESO finden man jedoch in den chilenischen Anden.

Das ist etwas weit weg. Warum ausgerechnet dort?

Weil dort die weltweit besten Bedingungen für Himmelsbeobachtungen herrschen, eine saubere Atmosphäre, weit entfernt vom störenden Licht der Großstädte, trockene Luft, - in dieser Gegend regnet es einen Tag in hundert Jahren. Die Beobachtung von der Südhalbkugel des Planeten aus ermöglicht es außerdem, besonders interessante Himmelsregionen besser zu sehen, etwa das Zentrum der Milchstraße, den Magellan-Nebel und ähnliche astronomische Objekte. Daneben ist Chile ein politisch stabiler Staat. Auch in Usbekistan wären optimale atmosphärische Bedingungen, so dass dieses Land als zukünftiger Standort für Observatorien gehandelt wurde, aber es ist zu riskant, eine beträchtliche Menge an Geld und Instrumenten in einen Landstrich mit unsicheren Regierungen und Institutionen zu investieren.

Wie viele Observatorien werden in Chile vom ESO betrieben?

Momentan drei, alle im nördlichen Teil Chiles, an den Rändern oder im Zentrum der Atacama-Wüste. Der älteste Standort ist der von La-Silla, der 1969 auf einer Höhe von 2400 Metern eröffnet wurde. Als zweiter kam der in Paranal, eröffnet in den frühen Neunzigern, etwa 2700 Meter hoch auf dem gleichnamigen Berg, wo seit 1996 das Very Large Telescope (VLT) steht, ein Instrument, das aus vier riesigen Teleskopen von je 8,20 m Durchmesser besteht, die unabhängig voneinander oder koordiniert einsetzbar sind. Der dritte im Llano de Chajnantor ist der Standort, wo der Atacama Large Millimeter Array (ALMA) gebaut wird, ein Radioteleskop der neuen Generation. Um Paranal zu errichten, hat man buchstäblich die Spitze eines Berges abgeschnitten, um dort die für die Teleskope und die Wohneinrichtungen der Wissenschaftler notwendige Fläche zu erhalten.

Wie viele Menschen arbeiten in Paranal?

Ungefähr hundertdreißig, verteilt auf Astronomen und Ingenieure, aber auch Personal im Verwaltungs- und Logistik- und medizinischen Bereich, teils Chilenen, teils aus den Mitgliedsländern des ESO. Diese Leute wohnen in Santiago und verbringen nach dem Rotationsprinzip eine Zeitlang in der Höhe. Normalerweise ist der Turnus: acht Tage in Paranal und sechs Erholungstage zu Hause. Der Unterhalt dieses Observatoriums kostet einen Dollar pro Sekunde, also wird es das ganze Jahr über intensiv genutzt.

Welche sind die wichtigsten Unternehmungen des ESO in der Vergangenheit?

Die Entwicklung und Konstruktion eines Netzes aus technischen Strukturen, das zuvor nicht existierte, wie das Very Large Telescope, dessen Bau von einem italienischen Konsortium aus „Ansaldo Energia“ (Genova), „European Industrial Engineering“ (Venezia) und SOIMI (Milano) verwirklicht wurde, oder das revolutionäre New Technology Telescope (NTT), das erste Teleskop, das aktive Optik benutzt hat (um den hoch empfindlichen Hohlspiegel fortwährend in der optimalen Form zu halten, wobei die Wirkungen von Schwerkraft, Wind usw. ausgeglichen werden mussten). Das NTT war die Eintrittskarte, die Italien bezahlt hat, um Mitglied zu werden. Darüber hinaus haben wir schon existierende Technologien verbessert oder ausgebaut.

Zum Beispiel?

Die CCD-Rezeptoren, die wichtige Bauteile für bildgebende Maschinen und digitale Telekameras sind. Sie wurden in den Sechzigern von amerikanischen Wissenschaftlern der Bell Laboratories entwickelt, die gerade dieses Jahr den Physik-Nobelpreis bekommen haben. Mit der Forschung zu großformatigen CCD-Rezeptoren, die für unsere Teleskope nötig sind, haben wir zur Herstellung von Instrumenten Beigetragen, die sich als sehr nützlich herausstellten, auch im medizinischen Bereich bei der Mammographie.

Was sind die interessantesten astronomischen Entdeckungen?

Die Astronomen des ESO habe beispielsweise grundlegende Studien verfasst über die naheste Supernova (letzte Explosion eines Sterns), die man je seit der Erfindung des Teleskopes beobachtet hat. Es ist jedoch wichtig zu betonen, dass es unser Ziel ist, alle Bedingungen für die astronomische Beobachtung zur Verfügung zu stellen, während der größte Teil der Studien von einzelnen Astronomen aus den Mitgliedsstaaten durchgeführt werden. Und die jährlich in anerkannten internationalen Zeitschriften publizierten wissenschaftlichen Artikel, die auf Untersuchungen mit unseren Teleskopen basieren, sind äußerst zahlreich und von höchstem Niveau.

Welche Projekte, an denen das ESO gerade arbeitet, sind die wichtigsten?

Zwei Großprojekte. Das erste ist das Radioteleskop ALMA. Das ist ein so mächtiges und kostspieliges Instrument, dass es eine Zusammenarbeit zwischen Europa, den USA und Japan erforderlich machte. Es wird aus sechsundsechzig Radioteleskopen in über fünftausend Metern Höhe bestehen, mit allen logistischen Problemen, die so etwas mit sich bringt, auch für diejenigen, die es zum Funktionieren bringen müssen. Im September sind die ersten Antennen angekommen, und es wird in den nächsten zehn Jahren fertig werden. ALMA ist das Vermächtnis Riccardo Giacconis, des italo-amerikanischen Direktors des ESO von 1994 bis 1999, Physik-Nobelpreisträger 2002.

Was ermöglicht denn so ein Dings...?

In Wolken von ursprünglichem Staub und Gas einzudringen, um die Geburt von Sternen, Galaxien, Planeten, sogar die Bildung der ersten organischen Moleküle zu beobachten, also die allerersten Schritte der Evolution, die zur Entwicklung des Lebens geführt haben.

Kurz, ein wenig wie die Radiographie des Universums. Und das andere Projekt?

Das European Extremely Large Telescope (E-ELT), ein riesiges Teleskop, das wir in diesen Jahren in schärfster Konkurrenz zu den USA entwickelt haben. Es handelt sich um eine Anlage, hoch die der Londoner Big Ben, von den Abmessungen eines Fußballfeldes, mit einem Hohlspiegel von 42 Meter Durchmesser. Das E-ELT wird das erste „sich anpassende Teleskop“ sein, ausgestattet mit Spiegeln, deren Form tausendmal pro Sekunde neu berechnet wird, um die aus dem Wirbel der Erdatmosphäre entstehenden Verzerrungen zu korrigieren.

Da man schon dabei war, konnte man es nicht gleich auf 50 bauen?

Bei den Kosten und bei der Technologie, die nötig ist, um es zu bauen. Wir haben noch nicht alle Technologie, um ein Teleskop von 42 Meter Durchmesser zu bauen, sondern erfinden sie gerade. Das E-ELT wird unter anderem eine Reihe Laserkanonen haben, die auf den Himmel zielen und dazu dienen werden, die Sichtstörungen durch die Erdatmosphäre auszugleichen..

Ist es nicht so, als würde ESO die besten Dampflokomotiven bauen, obwohl man aber bereits die elektrische erfunden hat? Anders gesagt: Warum soviel Geld ausgeben, um ein so teures Teleskop auf der Erde zu bauen, wenn es doch möglich ist, die Geräte in den Himmel zu schießen, wie im Fall von Hubble, und so das Problem der atmosphärischen Störungen grundsätzlich zu umgehen?

Hubble wird nie eine so genaue Sicht haben wie das E-ELT: JE größer ein Teleskop ist, desto kleiner sind die Details, die wir an den astronomischen Objekten sehen können. Aber die Kosten, um ein Teleskop mit einem 42 m großen Hohlspiegel in den Orbit zu befördern, wären unbezahlbar, Hubble misst ja weniger als einen Meter. Man muss vielmehr die Teleskope auf der Erde und die im All als Ergänzungen ansehen.

Was wird mit dem E-ELT möglich sein?

Zu erkennen, wohin das Universum sich bewegt. Wir wollen untersuchen, wie es sich ausdehnt, auch weil aus den jüngsten Beobachtungen folgt, dass des gerade seine Ausdehnung beschleunigt. Das bedeutet, besser die Geschwindigkeit der Ausdehnung messen zu können, sogar einige der großen Fragen der Astronomie zu verstehen, wie die Entstehung von Sternen, die Existenz von erdähnlichen Planeten, die Natur der schwarzen Löcher und zumindest die Exsitenz von dunkler Materie und Energie.

Was ist das?

Dunkle Materie und dunkle Energie sind Hypothesen, die vorgeschlagen wurden, um unser theoretisches Modell des Universums mit dem in Einklang zu bringen, was wir sehen. Tatsache ist, dass unsere Beobachtungen der galaktischen Bewegungen und der Ausdehnung des Universums insgesamt die Existenz einer Menge von Energie und Materie nahe legen, die größer ist als das, was wir bis heute zu messen imstande waren.

Im Grunde ist zuerst die Hypothese von dunkler Energie formuliert worden, und ihr baut heute ein Instrument, um zu sehen, ob es sie wirklich gibt?

Ja. In der Wissenschaft ist diese Methode keineswegs neu. In den großen Teilchenbeschleunigern des CERN ist Antimaterie hergestellt worden, also Materie mit einer Elektronen-Ladung, die der normalen genau entgegen gesetzt ist. Bevor man sie hergestellt und experimentell untersucht hat, war sie nur eine Hypothese, die sich aus einer Gleichung des größten Physikers ergab, der bei Laien ganz unbekannt ist: des Engländers Paul Dirac (1902-1984).

Was sind die Vor- und Nachteile eines so internationalen Arbeitsplatzes, wie des Wissenschaftszentrums Garching?

Sehr positiv ist, dass man mit Personen aus verschiedenen Sprachen und Kulturen zusammen arbeitet, auch wenn wir untereinander alle Englisch sprechen. Das erlaubt es, immer neue und interessante Perspektiven kennen zu lernen, die sich auch sehr von unseren unterscheiden können. Ein anderer großer Vorteil ist, dass man wissenschaftliche oder technische Probleme mit den weltweit besten Experten für das jeweilige Problem besprechen kann, indem man nur ein Paar Schritte geht. Das Risiko besteht darin, dass man sich in einem Elfenbeinturm bewegt, einer geschlossenen Welt ohne Sinn für das, was da draußen vor sich geht. Um dies zu vermeiden, braucht es oft Selbstdisziplin.

Wie viele Italiener arbeiten beim ESO?

Da Italien das viertgrößte Land von den Beiträgen her ist, sind wie in Garching etwa siebzig Italiener unter vierhundertfünfzig, während in Chile zehn unserer Landsleute arbeiten. Wir haben die besten Kollegen, renommiert auf verschiedenen Feldern, wie z.B. Roberto Gilmozzi, einer der Entwickler des E-ELT, oder Alvio Renzini, der bis vor einigen Jahren bei uns gearbeitet hat, einer der berühmtesten und geachtetsten Astronomen unserer Zeit. Und dann sind wir sehr stark im Bereich der Software-Entwicklung.

Wie bist du ans ESO gekommen und was ist deine spezielle Aufgabe?

Ich habe Physik mit dem Schwerpunkt Astronomie in Triest studiert, auch Kurse von Margherita Hack und Giancarlo Ghirardi besucht, eines der weltweit größten Experten für Quantenmechanik: Ihm verdanke ich die Leidenschaft für Wissenschaftsgeschichte und -philosophie. Ich habe bei Giorgio Sedmak über Astronomie-Technologie promoviert, ein Abschluss, der mich, wie mein Professor wusste, leicht für das ESO qualifizieren konnte, und die nahmen mich tatsächlich 1993 auf, zwei Monate nach meinem Examen. Deshalb bin ich Sedmak sehr dankbar. Heute bin ich für die Software-Entwicklung für die optischen Empfänger verantwortlich.

Das bedeutet?

Praktisch entwickle ich Programme, um die digitalen Bildapparate zu steuern, die eine von den Instrumenten aufgenommene Einheit fixieren. Außerdem nehme ich an den Forschungs- und Kongress-Tätigkeiten teil und organisiere auf Anfrage Besuche italienischer Oberstufen-Schüler am ESO. Diese Aufgabe macht mir viel Freude, denn so bleibe ich mit den jungen Leuten aus meinem Land in Kontakt. Wenn unter den Lesern Oberstufen-Lehrer sind, die mit ihren Schülern gern in unsere Anlage nach Garching kommen wollen, könne sie mich gern per e-mail kontaktieren (ccumani@eso.org).

Dann gibt es die Reisen nach Chile. Was ist deine Aufgabe da unten?

In der Phase der Inbetriebnahme des Very Large Telescope sind wir viele Male im Jahr nach Paranal gereist, um Instrumente hinzubringen, sie zu montieren und einzuarbeiten. Mit den Jahren ist die chilenische Belegschaft immer größer geworden, so dass die Übersee-Reisen selten geworden sind, auch weil wir ein wenig Ressourcen einsparen müssen.

Zwischen den Anden und Bayern... Wie wichtig ist das Internet am ESO?

Unverzichtbar. Wir haben Internet, seit es für zivile Nutzung erhältlich war, und neuerdings ein spezielles Satelliten-Netz, das es uns erlaubt, jede Nacht in sehr hoher Geschwindigkeit Daten aus Übersee zu erhalten oder auszutauschen. Dank der Antenne, die ich hier draußen haben, komme ich morgens ins Büro und finde die Resultate der Beobachtungen, die während der Nacht auf der anderen Seite der Welt gesammelt wurden.

Eine Stunde von deinem Arbeitsplatz entfernt wurde Papst Benedikt XVI. geboren. Aber wie weit sind, deine Meinung nach, Wissenschaft und Glaube voneinander getrennt?

Unendlich weit und doch zugleich überhaupt nicht. Es sind zwei Flächen, die einander nicht schneiden, zumindest nicht im jeweiligen Kern. Sie sprechen von zwei Sphären, die getrennt sind, und die Wissenschaft braucht den Glauben nicht, um zu funktionieren.

Aber der Glaube braucht die Wissenschaft?

Darauf kann ich keine Antwort geben, das ist nicht mein Gebiet. Das müsste ein Theologe beantworten. Ich glaube, dass ein Schnittpunkt die Fragen sein könnten, die man einander stellen kann. Die Wissenschaft kann den Glauben anreizen und umgekehrt.

Bist du ein gläubiger Mensch?

Jein.

Also...?

Nein, aber ich hoffe, dass es da etwas gibt.

Warum?

Weil es dann die Möglichkeit der Gerechtigkeit für die Verlassenen dieser Erde gäbe, die, wenn es keinen Gott gäbe, wirklich unglücklich wären. Ich fürchte aber, dass es da nichts gibt. Von einem bin ich überzeugt: Du findest Gott nicht, indem du in den Himmel schaust, du findest ihn nicht, wenn du die Natur betrachtest. Wenn es einen Ort gibt, wo du ihn finden kannst, dann in deinem Inneren. Und dabei helfen keine Teleskope.

Dieses Jahr jährt sich zum vierzigsten Mal die Mondlandung. Welchen Stellenwert hatte dieses epochale Ereignis für die astronomische Forschung?

Ich kann dir sagen, welchen Wert es für mich bedeutete. Ich weiß noch, dass mein Vater mich in jener Nacht weckte und mich auf seinen Knien vor der Mondlandung sitzen ließ. Diese Nacht hat mein Leben verändert. Damals wurde in mir die Faszination für alles, was im Kosmos ist, geweckt. Was ihren allgemeinen Wert angeht, muss ich wohl sagen, dass die Mondlandung eine größere politische und technologische Bedeutung hatte als eine echte wissenschaftliche Auswirkung.

Wird der Mensch zum Mond zurückkehren, um dort zu bleiben?

Ja, aber ich weiß nicht, ob es eine Massenauswanderung geben wird. Ich glaube eher, dass man mit kleinen Gruppen von Wissenschaftlern hingehen wird, um Experimente zu machen, wie heute in den Basen der Antarktis. Auf dem Mond wird man große Teleskope errichten können und keine Störungen durch die Atmosphäre haben, wodurch man die Vorteile zweier Typen von Teleskopen kombinieren wird, die heute gebaut werden, der auf der Erde und der im Orbit. Aber das wird, denke ich, nicht vor den Fünfziger Jahren dieses Jahrhunderts geschehen.

À propos Jahrhunderte. Dieses Jahr kommt auch der vierhundertste Jahrestag der ersten Beobachtungen Galileo Galileis mit dem Fernrohr. Doch von der wichtigen Rolle Galileis für die Astronomie zu sprechen, ist ein alter Hut, nicht wahr?

Auf den Kongressen, die ich ihm in den vergangenen Monaten gewidmet habe, habe ich ihn immer „den Riesen Galileo“ genannt.

Richtig. Da aber deine Frau Deutsch-Veltlinerin ist und diese Zeitschrift von einer Bank kommt, deren Stammsitz Sondrio ist: Kannst du uns bitte Giuseppe Piazzi in Erinnerung bringen?

Ich gestehe, dass ich den Entdecker von Ceres dank meiner Frau Sara kennen gelernt habe. Piazzi ist eine Gestalt, mit der ich mich sehr gern genauer beschäftigen würde, wie ich in der Tat gern das ganze Veltlin besser kennen würde, ein Landstrich, den ich, mag er auch zersiedelt sein, sehr faszinierend finde, auch wegen der Grenzlage, wie mein Triest.

Ah ja, Triest. Wenn du nicht gerade Astronomie betreibst, sammelst du Bücher über deine Heimatstadt.

Ich habe Triest entdeckt, als ich es verlassen habe. Ich denke, das ist typisch für einen, der auswandert: Wenn man in der Fremde angekommen ist, fragt man sich, wer man ist und woher man kommt. Als ich dies tat, habe ich viel über die Stadt, aus der ich komme, erfahren, zum Beispiel wie viel sie der deutschen Kultur verdankt, angefangen von den vielen Ausdrücken im eigenen Dialekt. Ich glaube übrigens, dass die Erfahrung der Gegenden im Nordosten Italiens viele Anregungen und Antriebe für die heutigen Probleme bieten könnten, denn es waren Orte, an denen Multikulturalität, Migration und Mehrsprachigkeit seit Jahrhunderten gelebt wurden.

Das Problem des Kulturkontaktes fasziniert dich so sehr, dass du dich entschlossen hast, dich ihm aktiv und gesellschaftlich zu widmen. Wie das?

Weil ich aus einer katholischen Familie komme, auch wenn ich es nicht bin, hat mich immer die Unterlassungssünde geplagt. Und da ich mich für privilegiert halte, eine sehr schönen und gut bezahlten Arbeit nachzugehen, schien es mir gerecht, mich um einige meiner Landsleute zu kümmern, die in Deutschland mehr Probleme haben als ich.

Das tust du unter anderem in der Funktion als Präsident von Comites. Was ist das?

Comites ist ein Komitee der Italiener im Ausland, im Rang eines Regionalrates, ein kleines Parlament, in das Repräsentanten aus den Reihen der Italiener gewählt werden, die innerhalb eines Konsular-Bereiches wohnen. In Mittel- und Südbayern gibt es zwölf Mitglieder für eine Bevölkerung von siebzigtausend Italienern, die im A.I.R.E., dem Melderegister für Auslandsitaliener geführt werden.

Welche Ziele hat diese Einrichtung?

Die Belange der örtlichen italienischen Gemeinde, ihre Probleme, ihre sozialen und kulturellen Erfordernisse, gegenüber der Konsularbehörde zu vertreten; ebenso die letzteren in Zusammenarbeit mit dem Konsulat gegenüber den institutionellen Vertretern des Gastgeberlandes zu vertreten. Dieses letztere Ziel wurde vom Comites München mit besonderem Nachdruck verfolgt, weil wir überzeugt sind, dass echte Integration bedeutet, nicht so sehr auf das Herkunftsland zu schauen, mit dem es richtig und natürlich ist, Beziehungen zu unterhalten, sondern vielmehr im Ankunftsland zu arbeiten und zu handeln. Außerdem verfolgt Comites zahlreiche Initiativen, wie die Kampagne, Italiener zur Kommunalwahl und zur doppelten Staatsbürgerschaft zu bringen, damit sie Staatsbürger mit allen Rechten zu sind. Dieses Jahr haben wir auch, anlässlich des sechzigsten Jahrestages beider Verfassungen einen Band veröffentlicht, der das deutsche Grundgesetz in italienischer und die italienische Verfassung in deutsche Übersetzung enthält, mit Vorworten sowohl von Horst Köhler als auch von Giorgio Napolitano.

Von welcher Art ist die Einwanderung aus Italien nach Deutschland?

Die italienische Einwanderung nach Deutschland besteht im Grunde aus zwei Säulen. Einen Großteil macht die so genannte „frühe Einwanderung“ aus, also die der Gastarbeiter, die seit den bilateralen Verträgen der fünfziger Jahre nach Deutschland kamen (obwohl die Einwanderungsströme tatsächlich bereits viel früher einsetzten). Diese Italiener haben im Bereich von Industrie, Handel und Gastronomie gearbeitet. Darüber hinaus gab es in den letzten Jahren eine „neue Einwanderung“ von Wissenschaftlern, Professoren, Managern und Zusammenarbeiten bei der Militär-Entwicklung.

Wie viele Italiener leben in Deutschland?

Insgesamt sind es etwa 600.000 Landsleute, die in der deutschen Welt als perfekt integriert gelten. Aber in Wirklichkeit hängt das von den Parametern ab, an denen man Integration misst. Ein Hinweis ist die hohe Rate an Mischehen. Etwa einer von vier Italienern ist mit einem Deutschen oder einer Deutschen verheiratet. Mit 49.500 Unternehmern liegen wir überdies hinter den Türken auf Platz zwei bei der Anzahl der Selbständigen. Aber das ist alles durch die rosarote Brille gesehen. Tatsächlich gibt es ein ziemlich schweres Problem, nämlich den mäßigen schulischen Erfolg der Kinder italienischer Einwanderer, von denen sehr viele auf der Sonderschule landen und nur wenige auf dem Gymnasium. Der größere Teil der italienischen Jugendlichen in Deutschland macht keinen Schulabschluss.

Wo liegen die Gründe für diesen schulischen Misserfolg?

Dafür gibt es eine zweifache Erklärung. Einerseits an der Art der Einwanderung. Andere europäische Länder, wie Frankreich und die Schweiz, haben eine viel längere Tradition der Einwanderung, die sich unter dem Faschismus entwickelt hat, getragen von einer Vielzahl gesellschaftlicher Schichten und getragen einer starken ideellen und kulturellen Triebkraft. Das hat es möglich gemacht, dass ihre italienische Gemeinde sehr viel stärker zusammenhängt und ein Netz von Vereinen und Hilfsorganisationen aufgebaut hat. Wenn ein Kind schlecht in der Schule ist, nimmt die Gemeinschaft Anteil. Hier ist das anders. Der zweite Grund liegt in der Nähe zu Italien und der Leichtigkeit des Wohnortwechsels innerhalb der Europäischen Union. Es ist eine typische Erscheinung, dass Familien Kinder, die in Deutschland schlecht in der Schule sind, nach Italien schicken, aber auch dort erzielen sie nicht die erhofften Resultate und kommen so zurück, ohne irgendeine Bildung zu haben, und sprechen ebenso schlecht Italienisch wie Deutsch.

Warum geschieht das nicht auch bei unseren Landsleuten in der Schweiz, die sogar noch näher an Italien sind als die in Deutschland?

Weil abgesehen von dem viel stärker entwickelten Vereinswesen dort das Verlassen der Schweiz juristische und verwaltungstechnische Probleme mit sich bringt, die abschreckend wirken. Das bringt die Eltern dazu, sich zu engagieren, damit die Kinder in der örtlichen Schule erfolgreich sind, ohne offene Fluchtwege zu bieten.

Sollten wir also eine gesetzliche Mauer zwischen Deutschland und Italien errichten?

Das sicher nicht, aber vielleicht zeigt die politische Steuerung der Einwanderung, die sich vor allem auf den guten Willen stützt, gerade dabei ihre Grenzen auf. Man muss mehr Engagement sowohl von den Einwanderern als auch von der aufnehmenden Gesellschaft fordern. Denn Einwanderung ist immer ein Spiel mit zwei Seiten, nie nur mit einer.

Also was tun?

Wenn ich das wüsste! Darüber zerbrechen wir uns am runden Tisch über die Einwanderung den Kopf, der in diesen Monaten im bayerischen Kultusministerium organisiert wird, um gemeinsam über neue Formen der Bildungspolitik nachzudenken. Einerseits um die Integration von jugendlichen mit Migrationshintergrund zu verbessern, aber auch weil man sich in Deutschland darüber klar geworden ist, dass in Zeiten der Globalisierung Bürger mit mehr als einer Muttersprache ein Vorteil für das Gastgeberland darstellen. Übrigens haben mich die Erfahrungen, die sich als Präsident von Comites mit der deutschen Verwaltung gemacht habe überrascht und ermutigt.

Warum das?

Weil dabei die Deutschen genau das Klischee erfüllen, das man von ihnen hat. Sie sind wirklich in der Lage, ihren öffentlichen Verwaltungsapparat auf exzellente Weise zu betreiben. Und in den Ministerkonferenzen, an denen ich in Berlin teilgenommen habe, als ich mit der Landesregierung bei der Abfassung eines Programms zur Integration der Ausländer zusammen gearbeitet habe, habe ich immer eine freundliche, aufmerksame Stimmung gefunden, zu schweigen von einem durchgeplanten Ablauf, durch den die oftmals hitzigen Diskussionen zwischen den verschiedenen Teilnehmern immer in eine harmonische Zusammenarbeit eingefügt haben. Da ich an unendliche und oft fruchtlose Diskussionen gewöhnt bin, wie sie zur italienischen Verwaltung gehören, war ich sehr erstaunt.

Welche Anregungen, positive und negative, kann man aus der deutschen Erfahrung mit Einwanderern für das Phänomen der Einwanderung in Italien ableiten?

Deutschland hat für die Entscheidung der Fünfziger Jahre, sich zum Gastgeberland, nicht aber zum Einwanderungsland zu stilisieren, teuer bezahlt. Diese Lüge hat es erst mit der Regierung Schröder beendet, als es endlich eingestanden hat, ein Einwanderungsland zu sein, und sich damit für eine Politik zur Integration der Einwanderer entschlossen, mit finanziellen Maßnahmen, die gezielt auf die Ausbildung gerichtet sind. Es ist gut, dass Italien sehr schnell eingesehen hat, dass ein Leugnen der Tatsache, selbst ein Einwanderungsland geworden zu sein, nur bedeutet hätte zu verzögern und die Probleme der Integration von Ausländer im eigenen Land nur zu verschlimmern.

Und du, der du jetzt seit so vielen Jahren in Deutschland lebst, wie siehst du Italien, nur durchs Teleskop?

Manchmal, wenn ich sehe, was dort passiert, würde ich es am liebsten durch ein umgekehrtes Teleskop und damit in noch weiterer Ferne zu sehen. Tatsächlich sehe ich es jeden Tag, auch durch die Überlegungen meiner internationalen Kollegen, die es alle mit Fragezeichen, Vorurteilen und Fragen beäugen. Aber ich bin dabei, mein Geburtsland wieder neu zu entdecken, auch dank meinen kleinen Kindern, durch ihre Liebe zu den Großeltern, zum Essen, zum Meer in Italien. An ihnen sehe ich mit Freude, dass die Liebe zu Italien anhält und trotz der Entfernung fortdauert.