Vortrag für die Veranstaltung
"Sind wir in Europa schon zu Hause? - EU-Bürgerinnen und Bürger im deutschen Alltag"
Informations- und Diskussionsveranstaltung der "Europa Akademie" der Friedrich Ebert Stiftung
München, 6. Februar 2002

Italiener in Deutschland

Von Claudio Cumani

 

In Deutschland leben mehr als 700.000 Italiener(1), die älteste und zahlenmäßig drittgrößte Einwanderungsgruppe, nach den Türken und den ehemaligen Jugoslawen.
Nach all diesen Jahren des Zusammenlebens, repräsentieren heute die Italiener den "guten, integrierbaren Ausländer".
Aber ... stimmt das für alle Italiener ?
Sowohl die wenigen wissenschaftlichen Studien zur Lebenssituation italienischer Migranten in Deutschland, als auch die Gewerkschaften, die Fürsorgeverbände und die Sozialdienste für ausländische Mitbürger belegen, dass die gesellschaftliche, soziale und politische Integration italienischer Migranten in Deutschland problematisch, unter bestimmten Aspekten sogar besorgniserregend ist.
Wenn als Indikatoren für Integration Schuldbildung, berufliche Qualifizierung, Zugang zu Erwerbsarbeit, berufliche Positionierung und Arbeitslosigkeit genommen werden, sind die Erfolgswerte bei der italienischen Bevölkerungsgruppe sehr niedrig.
Dagegen, wenn man als Indikatoren die interethnische Heirat, interethnische Freundschaften als auch Aufenthaltsorientierung und Lebenszufriedenheit betrachtet, haben im Vergleich mit anderen Nationalitäten insbesonders italienische Jugendliche relativ hohe Erfolgswerte[c].
Da es nicht möglich ist, alle Themen in Angriff zu nehmen, habe ich nur die ausgesucht, die mehr problematisch sind und zwar die Arbeits-, die Jugend- und die Frauen- Situation.
Ich möchte aber auch darauf hinweisen, dass viele Italiener gut integriert sind und wir sie deshalb nicht "wahrnemen".

Die Arbeit
Während die Mehrzahl der Italiener in Deutschland in den 60iger Jahren als ungelernte Arbeiter oder Bauarbeiter eingestellt wurden, sind sie heute größten Teils gelernte Arbeiter oder Angestellte.
50% der italienischen Angestellten arbeiten in der Fertigung. In der Gastronomie und im Handel ist der Prozentsatz geringer. Trotz alledem gibt es noch viele ungelernte Arbeiter mit schwerer Körperarbeit, langen Arbeitzeiten und niedrigem Gehalt.
Im Vergleich zu den 60iger Jahren, ist die Zahl der italienischen Selbständigen und Unternehmer gewachsen. Unter den Ausländern bilden sie die größte Gruppe: von 200.000 ausländischen Selbständigen, sind 40.000 Italiener, 30.000 Türken, 25.000 Griechen. Wobei die italienischen Selbständige hauptsächlich in Bereichen wie Gastronomie und Einzelhandel arbeiten, die in Zukunftsbranchen keine Rolle spielen.
Sowohl in Bayern, als auch in der Bundesrepublik sind die italienischen Arbeitslosen mehr als doppelt soviel, wie die Deutschen. Im April 2000 betrug die Zahl der deutschen Arbeitslosen 4.6%, die der italienischen Arbeitslose 12.2%. Ein Grund ist, dass in den 90iger Jahren im Bereich der Fertigung, in dem viele Ausländer arbeiten, die meisten Arbeitsplätze gestrichen wurden.
Das ist ein dramatisches Problem für die Leute zwischen 50 und 60 Jahren, die sehr schwierig einen neuen Job finden können, besonders wenn sie seit mehr als einem Jahr arbeitslos sind. Oft sind sie alleinstehende Männer, arbeitsverschlissen, isoliert und entwurzelt.
Eine neue Figur, die sich in den letzten Jahren bemerkbar gemacht hat, ist die der "working poors": Menschen (besonders Männer) die einen Job haben, in dem das Gehalt unter dem Existenzminimum liegt. Diese Menschen sind trozt der Arbeit gezwungen Sozialhilfe zu beantragen.
Die italienischen Arbeiter haben dieselben Rechte wie ihre deutschen Kollegen. Man muss aber leider sagen, dass die lange Inanspruchnahme der Sozialhilfe ein Grund ist, um von der Bundesrepublik abgeschoben zu werden[g], im Gegensatz zu der europäischen Bestimmung. Im Oktober letzten Jahres hat die Europäische Kommission den Gerichtshof wegen Verletzung der Bestimmungen des EU-Rechtes seitens Deutschland angerufen.
Ein Problem, über das zu wenig gesprochen wird, ist die Schwarzarbeit, besonders im Bauwesen oder in der Gastronomie. Eine Studie der italienischen Gewerkschaft CGIL belegt, dass 1997 27.000 Italiener ohne Versicherung in Deutschland arbeiteten. Hier sollten mehr Kontrollen seitens der Behörden durchgeführt werden.

Die Jugend
Das Schulergebnis der jungen Italiener ist eines der besorgniserregendsten Aspekte. Die Italiener haben einen der höchsten Prozentsätze von Schülern in den Sonderschulen und einen der niedrigsten Prozentsätze von Schülern in Gymnasien und Realschulen. In einigen Bundesländern verlassen bis zu 25% der italienischen Schülern vorzeitig die Schule. Ein Grund ist der neue Einwanderungsfluss der 90iger Jahre, als neue Familien hierher gekommen sind, die sich noch nicht integriert haben. Ein anderer Grund ist die restriktive Bildungspolitik - besonders in Baden-Württemberg und Bayern - die die Strukturen und das Personal sehr gekürzt haben, nach dem Prinzip "Mehr Leistung mit weniger Personal".
Die Anwesenheit der Italiener in den lokalen Universitäten ist auch relativ niedrig.
Der einzig positive Punkt ist die Berufsausbildung: während 1986 25.4% der jugendlichen Italiener eine Ausbildung hatte, ist 1994 dieser Prozentsatz auf 43.3% gestiegen. Die Nummer der Jungendlichen mit qualifizierten Jobs ist in diesen Jahren auch gestiegen.
Unter sozialen Aspekten sind die jungen Italiener sehr erfolgreich integriert, mehr als die anderen Einwanderungsgruppen. 57% der jungen Italiener verbringt seine Zeit mit deutschen Gleichaltrigen, viel mehr als bei den anderen Einwanderungsgruppen. Laut einigen Studien aus den 90iger Jahren, fühlen sich 80% der jungen Italiener "in Deutschland wohl", 16.5% "will die deutsche Staatsbürgerschaft beantragen", 42% "möchte die doppelte Staatsbürgerschaft haben" und nur 8.9% will zurück nach Italien gehen.
Ein Problem der jungen italienischen Familien ist der Mangel an Wohnungen, aber dies ist ein Problem, das nicht nur die Ausländer betrifft.

Die Frauen
Die Situation von vielen italienischen Frauen in Deutschland stellt ein anderes großes Problem dar.
Wenn sie arbeiten, haben sie oft eine geringe Ausbildung und arbeiten deshalb in wenig qualifizierten Bereichen. Oft haben sie Jobs, wo es schwierig oder unmöglich ist, Kontakte mit deutschen Kollegen zu knüpfen. So erlauben die sehr langen Arbeitzeiten ihnen nicht, ein soziales Leben zu führen.
Als Hausfrauen leiden sie häufig unter dem Mangel an sozialen Kontakten.
In beiden Fällen, haben diese Frauen zu wenige Integrationsmöglichkeiten. Und deshalb trifft es alleinerziehende Frauen besonders schwer, die wegen einer Scheidung oder als Witwen massive Probleme mit ihrer Aufenthaltsgenehmigung, Krankenkasse, usw. bekommen.

Integration: ein Spiel zu zweit (oder zu dritt)
Ich möchte diese kurze Ansprache mit einigen Beobachtungen abschließen.
Zuerst möchte ich unterstreichen, dass die ausländischen Mitbürger einen beachtlichen Verdienst für die Bundesrepublik schaffen: nach einer Untersuchung des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung von 1997, tragen die Ausländer in Deutschland rund 250 Milliarden Mark jährlich zum Volkseinkommen bei. Mit 100 Milliarden Mark Steuern und Sozialbeiträgen geben sie dem Gemeinwesen 30 Milliarden mehr, als sie an öffentlichen Leistungen kassieren[b].
In Bayern ist der Beitrag der Ausländer zum Bruttoinlandsprodukt 1989 von 30 Milliarden auf bis zu 53 Milliarden in 1998 gestiegen: ein Wachstum von 77%, während das gesamte bayerische Bruttoinlandsprodukt nur um 27% in derselben Zwischenzeit gestiegen ist.
Der Einsatz für die Integration der ausländischen Mitbürger ist deshalb kein "liebliches Geschenk", das die Bundesrepublik "großzügig" verteilt.
Aber Integration muss ein Spiel zu zweit, vielleicht zu dritt sein.
Die Bundesrepublik muss akzeptieren, dass Deutschland ein Einwanderungsland geworden ist. Die von der früheren Bundesregierung vertretene Auffassung, dass Ausländer keine Einwanderer sind, da sie nur zeitweise hier arbeiten und dann wieder zurückkehren, hätte eine Integrationspolitik faktisch behindert.
Gleichzeitig müssen die Zugewanderten die Integration selbst akzeptieren, ihren Aufenthalt in Deutschland als dauerhaft begreifen und nicht den "Mythos der Rückkehr" pflegen. Sie müssen Bürger werden, das heißt, dass sie sich in der lokalen Gesellschaft, Kultur, Politik, usw., immer mehr beteiligen müssen. Ein Signal wäre, z.B., eine hohe Anteilnahme der EU-Bürger an den Lokalwahlen am 3. März.
Unser dritter Mitspieler wären die anderen Regierungen. Für die Italiener, z.B., müsste die italienische Regierung in italienische Konsulate und Sozialverbände in Deutschland investieren.
Es wäre auch notwendig, die verschiedene europäischen Rechte zu harmonisieren, besonders unter der Betrachtung der erworbenen Rechten - wie die Pflegeversicherung - derjenigen Immigranten, die im Ausland gearbeitet haben und dann in ihre Heimat zurückkehren.
Es muss klar sein, dass Integration nicht Assimilation bedeutet. Deshalb können Immigranten nicht nur ökonomischer sondern auch ein kultureller Reichtum sein. Aufgrund ihrer Verschiedenheit können Immigranten einen wichtigen Beitrag zur deutschen Gesellschaft geben, was sogar soweit führen kann, dass Deutschland einige Aspekte von sich besser versteht.
Ich führe nur ein Beispiel basierend auf einer Beobachtung an, die ich mit verschiedenen Italienern teile. In letzter Zeit habe ich den Eindruck, dass sich die deutsche Politik "berlusconisiert". Die christlichdemokratischen Parteien verlieren ihren Charakter einer Volkspartei, um zu konservativen Parteien zu werden. Sie bieten keine gesellschaftlichen Modelle und Projekte mehr an. Nein, sie verfolgen dagegen diejenigen Gruppen, die wahlmäßig am stärksten sind, um ihnen das anzubieten, was sie sich wünschen. Diese Parteien spielen mit den Ängsten der Wähler, um Stimmen zu gewinnen, ohne sich auch nur um die katastrophalen Konsequenzen zu kümmern, die in der Gesellschaft dadurch entstehen. Ich denke z.B. an die polemischen Worte "Kinder statt Inder" oder an die möglichen Konflikte über das Einwanderungsgesetz bei den kommenden Wahlen. Meiner Meinung nach ist es kein Zufall, dass Kohl die Person war, die "Forza Italia" in die europäische Volkspartei hat aufnehmen lassen, oder dass Stoiber gar so freundlich zu Berlusconi ist. Die Figur von Stoiber hat Ähnlichkeiten mit der von Berlusconi: fotogen, vaterländisch, taktiker und hervorragendes Geschick, die Medien für seine Kommunikation zu nutzen. Wenn Berlusconi von der "Übermacht des Westens über den Islam" spricht, hatte dann nicht Stoiber von der "durchmischten und durchrassten Gesellschaft" gesprochen? Beide haben danach gesagt, dass sie missverstanden worden wären. Die "Message" aber wurde trotzdem verbreitet und hat den sensiblen Wähler erreicht.
Dies ist nur ein Beispiel einer Gedanken, die verschiedene Ausländer hier teilen. Wäre es nicht interessant, immer mehr Diskussionsmöglichkeiten über diese wie auch andere Argumente zu organisieren? Würden wir nicht gemeinsam so viel daraus gewinnen, wenn es uns gelänge, den Dialog zwischen den hier lebenden, unterschiedlichen Nationalitäten auf eine höhere Diskussionsebene zu bringen - ich meine auch kulturell und politisch? Oder wenn wir lernen würden, die kulturellen Unterschiede als eine Bereicherung zu empfinden und zu leben, oder wenn wir lernen würden, "mit den anderen" in einen Dialog zu treten, anstatt sie als ein mögliches Problem zu sehen. Wir könnten somit anregende Diskussionen führen, die uns helfen würden, die Realität in der wir leben besser zu verstehen, um daraus eine interethnische und multikulturelle Gesellschaft zu schaffen, was unbestreitbar schon Realität ist, aber in den Köpfen und in der Wahrnehmung noch nicht der Falls ist.



Mein Dank geht besonders an Dr. Norma Mattarei vom Caritasverband und der Stadträtin Fiorenza Colonnella, die mich mit aufschlussreichen Gesprächen unterstützt haben.




Fussnote:

(1) Italienische Bürger in Deutschland (Quelle: Italienische Botschaft, Berlin, "Dati anagrafici consolari", 1. Semester 2001):

Konsulat Gebiet Italiener
Berlin Berlin, Brandenburg 12.470
Lipzig Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen 2.840
Hamburg Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern 17.094
Hannover Niedersachsen 25.489
Wolfsburg Wolfsburg, Gifhorn und Helmstedt in Niedersachsen 8.912
Köln Köln, Düsseldorf, Arnsberg - nur Hochsauerland, Märkischer Kreis, Olpe und Siegen-Wittgenstein 131.739
Dortmund Münster, Detmold und Arnsberg in Nordrhein-Westfahlen, ohne Hochsauerlandkreis, Märkischer Kreis, Olpe e Siegen-Wittgenstein 55.661
Saarbrücken Saarland 23.852
Frankfurt Hessen und Rheinland-Pfalz 116.404
Mannheim Mannheim, Heidelberg und Rhein-Neckar-Kreis im Baden-Württemberg 20.091
Stuttgart Baden-Württemberg, ohne Freiburg 145.467
Freiburg Freiburg 48.565
München Bayern, ohne Franken 75.013
Nürnberg Franken 30.581
Total   714.178


In September 2001 leben in München insgesamt 1.256.222 Einwohner, von denen 285.506 nicht-Deutschen sind.
Die EU-Bürger sind folgend aufgethalt (Statistisches Amt, München):

Belgien 490
Dänemark 623
Deutschland 970716
Finnland 662
Frankreich 6364
Griechenland 23451
Großbritannien 5041
Irland 1221
Italien 21969
Luxembourg 230
Niederlande 1657
Österreich 21930
Portugal 1883
Schweden 1010
Spanien 3230

Bibliographie:
[a] Landeshauptstadt München, "Lebenssituation ausländischer Bürgerinnen und Bürger in München", München 1997
[b] Wirtschaftswoche, Nr. 43, 16.10.1997, S. 17-19
[c] Roberto Alborino und Konrad Pölzl (Hrsg.), "Italiener in Deutschland. Teilhabe oder Ausgrenzung", Freiburg, 1998
[d] Dietrich Thränhardt: "Integrationsprozesse in der Bundesrepublik Deutschland. Institutionelle und soziale Rahmenbedingungen", in "Integration und Integrationsförderung in der Einwanderungsgesellschaft", Forschungsinstitut der Friedrich-Ebert-Stiftung, Abt. Arbeit und Sozialpolitik. - Bonn, 1999.
Electronic ed.: http://www.fes.de/fulltext/asfo/00713a02.htm
[e] Interministerielle Arbeitsgruppe Ausländerintegration, "Ausländerintegration in Bayern", München 1999
[f] Dietrich Thränhardt: "Einwandererkulturen und soziales Kapital. Eine komparative Analyse der Zuwanderungsnationalitäten und Bundesländer". In: Thränhardt, Dietrich (Hrsg.): Texte zu Migration und Integration in Deutschland, iks, 30, 1999, S. 6-44
[g] ACLI, Caritas, DS, INAS-CISL-DGB und INCA-CGIL, Dokument über "die restriktive Anwendung europäischer Bestimmungen und des deutschen Ausländergesetzes des Kreisverwaltungsreferat München", München, 19.06.2000
[h] Antonella Serio (Hrsg.): "Der unsichtbare Mitbürger. Soziale und gesellschaftliche Aspekte der Integration der Italienerinnen und Italiener in Deutschland", Lambertus, 2000
[i] Franziska Dunkel, Gabriella Stramaglia-Faggion: "Für 50 Mark einen Italiener. Zur Geschichte der Gasterbeiter in München", Herausgegeben vom Kulturreferat der LH München, Buchendorfer Verlag, 2000
[j] Ulrich Herbert: "Geschichte der Ausländerpolitik in Deutschland. Saisonarbeiter, Zwangsarbeiter, Gasterbeiter, Flüchtlinge", CH.Beck, 2001
[k] Emidio Colonnella, Referat zum Podiumsdiskussion der DGB-Region, "45 Jahre Migration Rückschau und Ausblick", München,16.11.2001